Lehnswesen und Grundherrschaft

Lehnswesen und Grundherrschaft
Lehnswesen und Grundherrschaft
 
Das Lehnswesen verdankte seine Entstehung einer militärtaktischen Neuerung, die seit dem 8. Jahrhundert das Wehrwesen im Frankenreich entscheidend bestimmte: die Ablösung des im Wesentlichen zu Fuß kämpfenden Volksheeres durch Ritterkontingente, denen von nun an kriegsentscheidende Bedeutung zugemessen wurde. Mit dem Einsetzen dieses Wandlungsprozesses war nicht mehr der traditionelle, für eine begrenzte Zeitspanne aufgebotene Fußkämpfer gefragt; jetzt brauchte man den Ritter, das heißt den Typus des Berufskriegers, der aber auch eine angemessene materielle Ausstattung benötigte, um den von der Ausbildung und Ausrüstung her aufwendigen ritterlichen Lebensstil führen zu können.
 
Das Lehnswesen, das in sich ältere Rechtsinstitutionen (Kommmendation, Gefolgschaft, Landleihe) vereinigte, kam dabei sowohl dem Bedarf des Königs oder anderer Mächtiger nach langfristig verfügbaren Gefolgsleuten als auch dem Interesse dieser Berufskämpfer an einer angemessenen Ausstattung und einem Dienstverhältnis, das ihren Status als Freie nicht gefährdete, entgegen.
 
Das Lehnsverhältnis wurde in der Form eines feierlichen Symbolaktes abgeschlossen und begründete zwischen den Partnern ein Gefüge wechselseitiger Rechte und Pflichten. Der Lehnsmann (Vasall) verpflichtete sich zu Gehorsam und Dienst, insbesondere zur Leistung von Ritterdiensten, während der Lehnsherr seinem Vasallen ein Stück Land oder ein Amt als Lehen zur dauernden Nutzung überließ. Entscheidend war dabei, dass das gesamte Rechtsverhältnis unter einer gegenseitigen Treuepflicht stand, die nicht nur den Vasallen, sondern auch den Herrn band. Es endete grundsätzlich erst mit dem Tod oder durch die Untreue (Felonie) eines der Partner. Der Lehnsmann konnte sein Lehen oder Teile davon nach Lehnsrecht an andere (Untervasallen) weiterverleihen, wodurch eine Vielzahl von einzelnen Lehnsverhältnissen begründet wurde, die wiederum alle in ein hierarchisch abgestuftes System lehnrechtlicher Rangordnung, beginnend beim König und endend beim untersten Vasallen der Lehnskette (später in Deutschland Heerschildordnung genannt), einbezogen waren. Verfügte der Vasall daneben nicht über eigenen Grundbesitz (Allod, Eigen), so wurden zumindest Teile des Lehens für ihn bewirtschaftet oder unfreien Bauern gegen Natural- bzw. Geldabgaben und Arbeitsleistungen zur Nutzung überlassen. Das hierdurch zwischen dem Grundherrn und seinen Bediensteten und Bauern entstehende Herrschafts- und Rechtsverhältnis wird heute als Grundherrschaft bezeichnet.
 
Gegenüber der in das System der Grundherrschaft eingebundenen Masse der bäuerlichen Bevölkerung erscheinen die im Lehnswesen organisierten ritterlichen Vasallen als eine elitäre, dünne Herrenschicht, die bald die faktische Vererbbarkeit ihrer Lehen im Mannesstamm durchsetzte und die über das Merkmal der Lehnsfähigkeit geradezu identisch mit dem mittelalterlichen Adel wurde.
 
Über die karolingischen Nachfolgereiche setzten sich Lehnswesen und Grundherrschaft fast im gesamten Abendland und in den Kreuzfahrerstaaten als grundlegende Rechtsinstitutionen durch, die bis weit in die Neuzeit hinein den organisatorischen Rahmen und die wirtschaftliche Basis für adlige Herrschaft lieferten, sodass man auch das gesamte, damit verbundene Gesellschaftssystem als Feudalismus (lateinisch »feudum«, Lehen) bezeichnet hat.

Universal-Lexikon. 2012.

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